Leseprobe
Ihre Gedanken verirrten sich in der Vergangenheit und Hanna Elisa hörte ihre Mutter mit leiser Stimme sagen,
„Sei froh, dass du das nicht erlebt hast, du bist nach dem Krieg geboren. Trotzdem beherrschen dich erhebliche, nicht erklärbare Ängste und du empfindest dieselbe Furcht vor einem neuen Krieg, die auch mir immerzu gegenwärtig ist. Mögen unsere kommenden Regierungen besseres im Sinn haben als Zerstörung und Elend den Menschen zu bringen und dich vor Erfahrungen von dieser Art verschonen!“
Lilli setzte sich aufrecht in den Sitz, strich ihre Haare aus der Stirn und forderte die Kleinen auf, ein Lied zu singen. Hanna Elisa warf Hardy einen schelmischen Blick zu und wünschte, er möge "Wir lagen vor Madagaskar" anstimmen, Mutti dürfe auch mitsingen, denn Hanna glaubte zu wissen, es wäre das Lieblingslied ihrer Eltern. Laut schall der Gesang durch das Innere des bequemen Autos. Begegnete ihnen ein anderes Fahrzeug, unterbrach Hardy das Geträller, um Lilli und die Kinder raten zu lassen, um welches Modell es sich handelte. Stolz sah er auf seinen kleinen Sohn, der eifrig seine Schwester mit seinem Wissen unterstützte. Müde geworden vom Singen und vom Ansehen der vielen Fabriken, Fördertürme, Hochöfen, Straßen, Kanäle, Eisenbahnschienen und Brücken, die sie aus der Geborgenheit ihres Autos heraus gesehen hatten und von Lilli immer wieder auf die Annehmlichkeit ihres neuen Fahrkomforts aufmerksam gemacht, erklärten die Kinder sich einverstanden, auf der Rückbank zu schlafen.
Zufrieden streckten sie sich aus. Welch ein Luxus! Ein völlig neues Reisegefühl. Ausgeruht trafen sie bei Anna und Max ein, die sie lachend willkommen hießen,
„Wo sind denn eure schwarzen Gesichter geblieben? Den Anblick werden wir vermissen!“
Am Morgen des Ostersonntags lockte die Sonne schon früh die Besucher aus den Betten. Anna zog sich auf den Stuhl in der Ofenecke zurück, der an ruhigen Tagen Luise vorbehalten war, amüsiert vom aufgeregten Treiben ihrer ausgelassenen Kinder, die dem gemeinsamen Weg zur Kirche erwartungsvoll entgegen sahen. Als alle fix und fertig vor dem Haus versammelt unter den kahlen Buchen standen, Lilli Hannas Kleid und Tills Jacke zum letzten Mal zurecht zupfte, damit die Kinder bei Hardys ehemaligen Klassenkameraden einen guten Eindruck hinterließen, die an diesem Feiertag alle zum Gottesdienst erwartet wurden, verabschiedete Anna die Familie. Sie schloss sich der Gruppe nicht an und während sie sich schon wieder dem Hauseingang zuwandte, vernahm Hardy den Satz, den er in seiner Kindheit an vielen Sonntagen hörte,
"Ich bleibe zu Hause und werde die Zeit nutze und eine Suppe vorbereiten. Nach dem Spaziergang werden wir alle hungrig sein. Betet ihr für mich mit! Gott wird es genügen.“
Max nickte verständnisvoll und geleitete die Gesellschaft gut gelaunt den kurzen Weg zum Gotteshaus, schloss Anna in seine Gebete ein und sah erschrocken auf Hardys Klassenkameraden,
„Wie klein die Gruppe geworden ist! So wenige junge Männer kamen von den Kriegsgefechten zurück. An welchem Tag werden ihre Seelen wieder auferstehen, um die zurückgebliebenen Mütter und Väter vom Sinn ihres sinnlosen Todes zu überzeugen?“
Tief in seinem Innersten, vor seinen Angehörigen verborgen, wartete Max immer noch auf die Rückkehr seines Bruders, dessen Leben 1916 in Verdun des Kaisers Kampf geopfert wurde, und dessen phantastisches Geigenspiel seine Träume in vielen Nächten auf zauberhafte Weise begleitete.
Als Max nach dem Hoffnung versprechenden Hochamt seine Familie wieder nach Hause führte, sah er aus der Ferne vor seinem Haus die Menschen stehen, mit denen er schon seit Jahren am Ostersonntag zum Spaziergang in den nahe gelegenen Telgenbusch ging, dem Wald ihrer gemeinsamen Kindheit, um Ostereier zu suchen.
„ ihr“ Wald den langen Winter, in dem sie keine Gelegenheit fanden sich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen, unbeschadet überstand. Kaum war der Wald in Sicht, drückten die Kleinen ihre Körbchen den Erwachsenen in die Hände, um frei und unbeschwert über die Wurzeln alter knorriger Bäume zu klettern und zwischen weichem Moos und den hellgrünen Blättern der Waldanemonen und Winterlingen hin und her zu hüpfen, entdeckten dabei die bunten Eier, die Herr und Frau Osterhase sorgsam unter sprießendem Farn und im dichten Teppich des Waldmeisters fallen gelassen hatten.
Eine bunt gemischte Gesellschaft bereitete sich zum Abmarsch vor, selbst die Alten ließen sich von der Ungeduld der Jugend anstecken und drängten erwartungsvoll zum Aufbruch, um endlich den Frühling persönlich willkommen zu heißen, und um sich zu vergewissern, dass
Nachdem die Körbchen gefüllt waren, brachen die Männer Birken- und Haselnusszweige, um ein wenig vom Zauber des Frühlings mit in ihre Wohnungen zu nehmen.
Singend, lachend und plaudernd liefen sie über ausgetretene Pfade, sprangen und kletterten über kleine Bäche und zupften auf dem Rückweg das erste Grün dieses Jahres. Zu Hause angekommen warfen die Kinder den Hühnern die zarten Blätter in den Stall,
„Ihr sollt auch wissen, dass heute Ostern ist!“ und betrachteten zufrieden das eifrige Picken der lebhaften Schar. Als die Kinder ins Haus traten, saß die hungrige Gesellschaft bereits in der Küche und den Kindern erschienen die temperamentvoll geführten Gespräche der Tischgesellschaft ähnlich dem lebhaften Gegacker der Hühner.
Anna stellte die Teller auf das blank polierte Holz des Tisches, reichte das Besteck an Luise und bat es zu verteilen. Im Korb lag frisches Brot, daneben Ostereier in allen Farben. Die Fleischsuppe stand bereit, warm gehalten am Rand des Kohleofens und ihr unverwechselbarer Duft wetteiferte mit dem des warmen Brotes und des frisch gekochten Kaffees. Das Zimmer, erfüllt vom Wohlgeruch eines Ostertages, die Frische des Waldes vermischt mit dem Kohlefeuer und von 4711 der Frauen ließ voller Zuversicht in eine friedliche Zukunft blicken und auf unbeschwerte Träume hoffen.
Erst die Rauchwolken, die aus den Pfeifen und Zigarren der genüsslich vor sich hin paffenden Männern zur Zimmerdecke stiegen, und nach und nach die satte zufriedene Gesellschaft unter einer Dunstglocke einhüllte, verwandelten die Atmosphäre in die eines ganz gewöhnlichen Sonntages.
Das vorbildliche Wetter und das Versprechen der Meteorologen, dass es in den nächsten Tagen noch schöner werden würde, veranlasste Anna sich an ihre Enkeltöchter zu wenden und sie aufzufordern,
„Zeit für Ferien und Ausflüge, verbringt ein paar Tage bei uns!“